Der Mensch May entblößt

Dieser Tage gönnte ich es mir einmal wieder, Karl May im Original zu lesen. So, wie der "Mayster" selber bei Erstveröffentlichung schrieb, ohne Revision im späteren Leben, ohne Verstümmelung durch mehr oder minder wohlmeinende (oder gar talentierte) Herausgeber und Bearbeiter. Sozusagen Karl May nackt und pur, Karl May entblößt.

Schon nach dem märchenhaften Beginn, der Heraufbeschwörung alter Zeiten in Sachsen, war ich in der typisch May'schen Welt gefangen. Eine Welt, in der sich (gelegentlich fehlerbehaftete) Realität mit der Fiktion mischt, in der es fast nur den überhöht dargestellten Karl (oder zumindest eines seiner Alter Ego, das vermischt sich ja) als Lichtgestalt der Gerechtigkeit gibt. In der nahezu alle anderen Menschen Statisten, Zuträger des Helden, oder schlicht Schurken sind.

Eine Traumwelt, die ein ganz eigenes Weltbild, eine ganz eigene Moral hat. Alles geprägt vom Charakter des Schriftstellers. 

Und ich war ... angeekelt.

Nun ist es Zeit, Zeugnis abzulegen - denn der Text, den ich mir antat, war ein ganz spezieller: "Frau Pollmer, eine psychologische Studie." Karl Mays Schmähschrift gegen seine ehemalige Ehefrau. Verfasst im Rahmen eines seiner vielen Prozesse, und ein wertvolles Selbstzeugnis eines angeblich, zumindest in den eigenen Augen, "großen Mannes".

Für mich aber vor allem ein kurioses, halbliterarisches, ja in Teilen von kleinbürgerlicher Halbbildung strotzendes Sammelsurium der Selbstrechtfertigung, das streckenweise die selbst begangenen "Verfehlungen" bei anderen Menschen plakativ auf- und angreift. Und das voll von falschem Standesdünkel, vom Herabschauen auf die "einfachen Leute" ist. 

Begleitet von einer kaum verhehlten Misogynie ... in der Emma Pollmer (die scheinbare "Ehre", den Namen May zu tragen, sprach ihr Ehemann ihr ja bei der Scheidung ab) zentrale Figur, aber eigentlich auch nur eine Art Blitzableiter ist. Letzteres wird deutlich, wenn May ihr Negativa zuschreibt, die bei seiner zweiten Ehefrau Klara Beibler, verwitwete Plöhn, schlicht unter den heimischen Tisch zu fallen scheinen. 

Das Resultat? Karl May, von seinen Fans schon immer als grosser Literat und Prophet des "Edelmenschen" gefeiert ... ist jetzt in meinen Augen nicht mehr nur ein mittelmäßiger Akkordschreiber mit zugegeben blühender Phantasie, sondern auch, rein menschlich betrachtet, meilenweit vom "Edelmenschen" entfernt. So weit, wie es die hässlichen Gnome Hitler und Goebbels vom "Herrenmenschen" waren, den sie propagierten. Wobei ich jetzt nicht den Fehler begehen will, eine direkte Linie von May zu den Nazis zu ziehen ... die gab und gibt es nicht, trotz Adolfs gemütlichen Lesestunden mit "Winnetou", und Klaras Bemühungen, ihren zweiten Gatten posthum zum Propheten des Hakenkreuzes zu salben.

Ja, ich höre schon die einschlägigen Entschuldigungen ...

"Es war eben eine andere Zeit!" Stimmt, eine Scheidung war damals, anders ging es nicht, eine Schlammschlacht, denn eine "schuldige Partei" musst gefunden werden. Aber, andere Zeit hin und her, es gab auch genügend Fälle, in denen das Arrangement der Schuld, zumal in betuchteren Kreisen, ohne grosses Aufsehen und einen Kampf bis aufs Messer faktisch zu den Akten gelegt wurde. Zumal Unschuldsengel Karl ja der Teufelin Emma nach der Scheidung ohnehin ein geradezu fürstliches Schweigegeld als Rente zahlte. 

"Das war damals normal!" Ja, Misogynie war durchaus normal, keine Frage, und Frauen waren Menschen zweiter Klasse, meist über ihren Mann definiert. Eine weibliche Sexualität gab es offiziell gar nicht. Wie der Mann damit umging, wie er sich selbst darstellte, das war jedoch individuell verschieden. Es gab keinen gesellschaftlichen Zwang, das Ansehen einer Frau in der Öffentlichkeit zu zerstören.

"Er musste das ja schreiben ..." Nein, musste er nicht. May verfasste sein Machwerk aus eigenem Antrieb, und eigentlich nur als umfassende Abrechnung mit seiner Frau und ihrer ganzen Familie ... die Ehescheidung war längst beschlossene Sache zwischen beiden Parteien. Mays "psychologische Studie", typischerweise fühlte er sich wohl wieder einmal als berufener Experte in diesen Dingen, wurde nicht vom Gericht eingefordert. Es war allein der große propagandistische Holzhammer, mit dem er Emma ein für allemal erledigen wollte.

"Aber an sich war er ein guter Mensch!" Da kann ich nur sarkastisch lachen ... der Kleinkriminelle mit dem großen Ego, der sich im Knast ein Einzelzimmer erbat, dessen Rücksicht auf Mitmenschen stets eher homöopathisch dosiert war, aber immer hinter dem eigenen Vorteil zurückstehen musste?

"Er war auch nur ein Mensch!" Tatsächlich als Reaktion auf meinen Blogeintrag in einer Fangruppe hinterlegt ... ja, war er. So wie Báthori Erzsébet, Gilles de Rais, Heinrich Himmler auch nur Menschen waren, wie es Donald Trump, Vladimir Putin, Landolf Ladig sind. Entschuldigt das irgendwas, irgendwen? Ne, es ist eine dumme Worthülse.

Dabei bin ich ein Mensch, der durchaus zwischen dem Künstler und dem Menschen unterscheiden kann. Ich halte Oscar Wilde nach wie vor für einen begnadeten Literaten, auch wenn er ein Pädophiler war, den man mit glücklichen Prinzen vielleicht nicht allein lassen sollte. Dasselbe gilt für den Maler Gauguin, dessen Tagebücher aus Polynesien manches Bild mit anderen Augen sehen lassen - aber ist etwa "Aha oe feii?" wegen seiner Vorliebe für die Fellatio durch junge Mädchen ein schlechteres Gemälde? Auch Charles Dickens' chaotisch-merkwürdiges Familienleben, dem May'schen manchmal ähnlich scheinend, lässt seine literarischen Werke nicht wertlos werden. Um nur drei Beispiele zu nennen.

Aber, und das ist ein grosses ABER ... bei "Frau Pollmer, eine psychologische Studie." handelt es sich eben nicht um ein Werk der Fiktion (auch wenn einiges darin erfunden scheint), es wurde von May als Wahrheit, die ganze Wahrheit, und nichts als die Wahrheit vor Gericht eingereicht. Und ist allein daher schon anders zu bewerten als die frei erfundenen, teils abgeschriebenen, immer "selbst erlebten" Reiseberichte, mit denen Old Lügenbold zu einem ewigen Teil der deutschen Kultur wurde. Hier kann man nicht mehr schmunzeln und sagen: "Na, da hat er sich mal wieder was zusammengedichtet!"

Hier kann man nur sagen, oder besser ... hier kann ich nur sagen: "Gott, was war Karl May doch für ein Arschloch!"

Lesen darf man ihn danach trotzdem weiter.

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PS: In der ersten Version dieses Blogeintrags hatte ich die Schmähschrift Karl Mays Scheidungsprozess zugeordnet, das ist nicht korrekt und wurde behoben (sowie die Passage zu "auch nur ein Mensch" ergänzt) - ansonsten hat sich an meiner Meinung nichts geändert. 

Kommentare

  1. Diese Studie war von May nie zur Veröffentlichung bestimmt, sie sollte nur einen bestimmten Zweck dienen.

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  2. Oh viel Arbeit investiert für ein Scheidungs Manuskript, beachtlich

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